Arbeiten rund um die Uhr - ohne ein regelmäßiges Gehalt oder Kranken- und Rentenversicherung: Aus wirtschaftlicher Not lassen sich so leider tausende von Osteuropäerinnen in deutschen Haushalten als Pflegekraft ausbeuten. Das bisher auf Baden-Württemberg beschränkte Diakonie-Projekt “FairCare“ setzt sich für legale und faire Beschäftigung dieser Frauen ein und hat zum Beispiel Maria Kobiela aus Polen in gute und gerechte Arbeit vermittelt.

Frau sitzt auf Sofa und zeigt selbstgestrickte Socken

Lauter kunterbunte und kuschlig weiche Socken - stolz breitet Maria Kobiela ihre Werke auf dem Sofa aus: für ihren Mann, ihre Kinder und Enkel - jeder soll mindestens ein Paar bekommen, wenn sie demnächst für ein paar Wochen zurück in ihre Heimat Polen fährt. “Ich habe hier in Deutschland eine gute Lehrerin“, sagt die Polin und umarmt liebevoll die 81-Jährige, bei der sie seit Januar über das Diakonie-Projekt “FairCare“ als Betreuungshilfe tätig ist. “Die alte Dame hat mir das Sockenstricken beigebracht“, sagt Maria Kobiela, “Sie ist so eine liebe Frau!“ Dass das Zusammenleben unter einem Dach in einem Dorf nahe Esslingen so gut klappt, weiß die 64-Jährige sehr zu schätzen.

In den vergangenen drei Jahren hat die ehemalige Büroangestellte aus Zakopane südlich von Krakau in deutschen Haushalten einiges erlebt. An manche Situationen erinnert sie sich gar nicht gerne. “Schwierig wird es, wenn du dem anderen nichts recht machen kannst“, sagt Maria Kobiela heute dazu. Ihre FairCare-Vermittlerin Irena Hoffmann ermutigt sie immer wieder, Unstimmigkeiten nicht einfach zu ertragen, sondern ihre Bedürfnisse auszusprechen - auch gegenüber dem FairCare-Kooperationspartner in Warschau, der Migrationsfachberatung der Diakonie Polen, die ebenfalls für die Betreuungskräfte da ist, wenn sie Fragen haben oder über Probleme sprechen möchten.

Grauer Markt: Arbeit in oder am Rande der Illegalität

Mit ihrer jetzigen Arbeitsstelle ist Maria Kobiela sehr zufrieden: Sie hilft der alten Dame beim Einkaufen, Kochen und Putzen, sie gehen zusammen spazieren und einmal die Woche in die Kirche wie auch zur Senioren-Gymnastik. Als sie anfangs aber noch über eine polnische Agentur in deutsche Familien vermittelt wurde, gehörte auch die körperlich anstrengende Pflege zu ihren Aufgaben und die Arbeitszeiten stimmten nicht immer. “Weil ich so oft in der Nacht aufstehen musste, bin ich krank geworden und hatte schlimme Rückenschmerzen“, berichtet die Frau mit blondem Kurzhaarschnitt.

Frau sitzt am Schreibtisch und telefoniert

Bei FairCare ist das anders: Ihre Wochenarbeitszeit beträgt 38,5 Stunden, sie hat Urlaubsanspruch auf 30 Tage im Jahr und ist bei der Sozialversicherung angemeldet, sprich: faire Arbeitsbedingungen - leider keine Selbstverständlichkeit angesichts des wachsenden gesellschaftlichen Bedarfs an häuslicher Langzeitpflege und der damit einhergehenden massenweisen Beschäftigung “billiger“ osteuropäischer Betreuungskräfte. Mehr als 100.000 Frauen arbeiten bundesweit in Haushalten mit Pflegebedürftigen, die meisten in oder am Rande der Legalität. Vom “größten Sklavenmarkt in Europa“ spricht die “Newsweek Polska“ in einer Reportage über polnische Betreuerinnen in Deutschland.

Eine ungünstige Melange aus Verzweiflung und Zeitdruck auf beiden Seiten treffen hier aufeinander: Die deutschen Familien suchen für ihre pflegebedürftigen Angehörigen meist schnell Unterstützung, “am besten morgen schon“, weiß FairCare-Beraterin Maria Simo. Und die Frauen aus Osteuropa brauchen oft dringend Geld für unbezahlte Rechnungen oder laufende Kredite. “Innerhalb von 48 Stunden lassen sie sich teilweise über dubiose Internet-Agenturen anheuern, ohne zu fragen, in was für eine Familie sie da überhaupt kommen, ob sie ein eigenes Zimmer haben und wie ihre Tätigkeit genau aussieht“, berichtet die Beraterin, “Die vermittelnde Agentur ist dann der vermeintliche ‘Retter in der Not‘ und verdient kräftig mit am Gehalt der Frau.“

Zwei Frauen sitzen nebeneinander am Tisch

Aber nicht nur die deutschen Familien und die Agenturen profitieren, oftmals auch die eigenen Familien der Frauen. Aus ihrer Beratungspraxis kennt sie Fälle, in denen den Frauen nichts von ihrem erarbeitenden Geld blieb: Sie können sich keine neue Kleidung, noch nicht mal einen Kaffee leisten, weil ihr gesamtes Gehalt für den Hausbau der Kinder oder den Kredit des Ehemanns gedacht ist und somit direkt auf das Familienkonto im jeweiligen Land geht.

Ausbrechen aus Isolation und Erschöpfung

Mit ihren Sorgen stehen die Frauen oft allein da. Bei 24-Stunden-Schichten können sie Beratungsangebote wie das Fraueninformationszentrum (FIZ) in Stuttgart kaum persönlich aufsuchen. Maria Simo, die über den Verein für internationale Jugendarbeit vij ebenfalls im FIZ Beratungsarbeit leistet, verabredet sich dann etwa beim Einkaufen mit den Frauen oder spricht mit ihnen am Telefon, möglichst in ihrer Muttersprache. Simo selbst kommt aus Rumänien, berät mit Hilfe ehrenamtlicher Übersetzerinnen aber auch auf Ungarisch, Bulgarisch und Polnisch. Was sie dann hört, erinnert in der Tat an Sklavenhandel: “Am schlimmsten ist es, wenn die zu betreuende Person Demenz hat, die Frauen aber keine Erfahrung damit haben und sich nicht verständigen können, weil sie kaum Deutsch sprechen“, berichtet die Theologin.

Frau trägt Kuchenplatte mit Gebäck

So wurde eine Polin von einem älteren Herrn mitten in der Nacht rausgeschmissen, weil er in ihr eine Einbrecherin sah. Nicht selten steckt aber auch einfach Bösartigkeit dahinter: Eine Ungarin musste auf dem kühlen Dachboden schlafen, durfte trotz Ohrenschmerzen nicht zum Arzt gehen und ist seitdem auf einem Ohr taub. Oder die Rumänin, die von der Ehefrau des älteren Herrn eingesperrt wurde, keinen Kontakt nach außen haben durfte und stattdessen mehrere Male am Tag die bereits saubere Küche putzen musste. Im dem Fall meldete sich die Schwiegertochter im FIZ mit der Bitte, die Rumänin “aus dieser Hölle“ rauszuholen.

“Wenn die Frauen sich an uns wenden, haben sie nicht nur jegliches Vertrauen und Hoffnung verloren, sondern sind meist auch sehr labil“, ist Simos Erfahrung. Sie versucht dann zunächst, die Frauen über ihre Rechte aufzuklären und sie in ihrem meist angeschlagenen Selbstvertrauen wieder zu stärken – ein meist langwieriger Prozess.

Verschaffung legaler Beschäftigung geht oft nicht schnell genug

Portrait einer polnischen Haushälterin

Auch der nächste Schritt – die Vermittlung in legale Beschäftigung – braucht Zeit. Zeit, die die Frauen angesichts ihrer finanziellen Not oft nicht haben. Simo erinnert sich an eine Rumänin, die für einen illegalen Job in Deutschland ihren 15-jährigen Sohn allein zu Hause zurückgelassen hatte. Gemeinsam erarbeiteten sie einen Finanzplan, wie sie über die zwei Monate in Anspruch nehmende Vermittlung in eine FairCare-Stelle ihre Schulden abbauen und in der Zwischenzeit zu ihrem Sohn nach Rumänien fahren konnte. Doch was Simo nicht wusste: Die Frau hatte keine Zeit zu verlieren, weil sie angesichts ihrer hohen Schulden bereits Morddrohungen erhielt. So entschied sie sich doch lieber für die erstbeste Arbeit, leider wieder irregulär.

“Bei FairCare machen wir zunächst Hausbesuche, um eine passende Familie zu finden“, berichtet die FairCare–Vermittlerin Irena Hoffmann. Die größte Hürde und den Großteil ihrer Arbeitszeit macht allerdings der hohe bürokratische Aufwand aus: “Die Familien müssen selbst als Arbeitgeber auftreten“, sagt sie, “Zwar helfen wir mit dem Kontakt zu einem Steuerbüro, aber dennoch sind sie mit den hohen Anforderungen in Sachen Arbeits–, Versicherungs– und Steuerrecht schlicht überfordert“. Hier sei die Politik gefragt, die bisher allerdings wenig Unterstützung geschweige denn Anreiz für legale Beschäftigung biete.

Tandem: Zwei Betreuungskräfte wechseln sich ab

Dabei gibt es Möglichkeiten der Arbeitserleichterung, etwa die Tandem–Lösung von FairCare, die auch Maria Kobiela nutzt: Jeweils sechs Wochen betreut sie die 81-jährige Dame im Wechsel mit einer anderen Betreuungskraft aus Polen, so dass ihr Zeit bleibt, ihre Familie zu besuchen und Kraft zu tanken: “Der Wechsel ist gut“, sagt die Polin, “Inzwischen merke ich, dass ich sonst krank werde, wenn ich zu lange von zu Hause weg bin“.

Text und Fotos: Diakonie Deutschland/Ulrike Pape

Quelle: diakonie.de

FairCare - vermittelt Betreuungskräfte aus Osteuropa